Der Kunstverein Biel verleiht dieses Jahr den Prix Kunstverein an die Künstlerin Nora Renaud. Mit seinem Förderpreis setzt der Kunstverein Biel sein Engagement für das regionale Kunstschaffen fort. Nebst dem Preisgeld erhält die Preisträgerin die Möglichkeit, ihr künstlerische Schaffen im Rahmen der Cantonale Berne Jura im Kunsthaus Pasquart sowie im Bieler Offspace Lokal-int zu präsentieren. Dieses Jahr besteht die Jury aus den Vorstandsmitgliedern des Kunstverein Biel sowie den Künstlerinnen Leolie Greet (Prix Kunstverein 2021) und Jeanne Jacob (Prix Kunstverein 2020).

Nora Renaud (*1977) studierte zunächst Haute Couture in Paris. Durch eine Reise nach Kolumbien vor etwa zehn Jahren, wechselte sie schliesslich zur Bildenden Kunst. Sie hielt sich für längere Zeit dort auf und besitzt noch immer ein Atelier. Ihr besonderes Interesse für Textilien und Kostümdesign stammt aus ihrer Studienzeit in der Modewelt. Während ihres Aufenthalts in Südamerika erlernte sie ausserdem verschiedene traditionelle Keramiktechniken. Diese handwerklichen Fähigkeiten stellt Nora Renaud in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, die von Bezügen zur digitalen Welt und den sozialen Netzwerken geprägt ist. Emojis, Hashtags und andere digitale Piktogramme wirken in ihrer genähten, gegossenen oder geschmolzenen Form wie mittelalterliche Wappen oder folkloristische Symbole.

Der Widerspruch – eine virtuelle Welt als Ergebnis hochentwickelter Technologie mit Mitteln und Materialien zu behandeln, die als rudimentär bezeichnet werden können – erlaubt es der Künstlerin, mit dem komplexen Begriff des «Newpressionism» zu arbeiten. Vom griechischen Künstler Miltos Manetas geprägt, bezeichnet dieser einen besonderen anthropologischen Zustand und postuliert, dass unsere übereifrige Bildschirmnutzung letztlich unsere Wahrnehmung von Raum verzerrt. So könnten uns die verschiedenen Ebenen, die eine Landschaft ausmachen, fortan wie Pop-Up-Fenster auf unserem Computerbildschirm erscheinen.

Folglich gibt es keinen Grund, warum dieses Hin und Her zwischen digitaler und analoger Welt nicht auch einen Einfluss auf unsere Identitätskonstrukte hat, angefangen bei unseren kollektiven Vorstellungswelten. Seit 2019 lässt Nora Renaud in ihrer Arbeit eine Figur namens Quietapina vorkommen. Es handelt sich dabei um einen Avatar, in dessen Kostüm sie bei Performances schlüpft. Während die Verkleidung sofort an Schweizer Karnevalskostüme erinnert, insbesondere an die der Tschäggättä, sind bei der näheren Betrachtung Verweise erkennbar, sowohl zu Facebook, zu einem Emoticon als Symbol der Bipolarität oder zu Leonardo da Vincis entworfener Uniform der Päpstlichen Schweizergarde.

Nora Renaud hat diesen Avatar an jede Fastnacht mitgeschleppt, wie um ihrerseits diese Symbole der Normativität in einer mittlerweile hypervernetzten Welt heraufzubeschwören. Doch indem sie sie direkt mit jahrhundertealten Bräuchen konfrontiert, macht sie auch deutlich, dass die Ikonografie der Echtzeitkommunikation unter ihrem harmlosen Schein in Wirklichkeit tiefe Ängste birgt. In diesem Bereich des Unterbewusstseins bewegt sich die Künstlerin. Wie der Titel eines ihrer Werke andeutet, geht es ihr darum, den Hashtag auf die Couch zu legen und mit der Therapie zu beginnen.